Gemeinsam statt einsam
Aktionsabend gibt wichtige Impulse im Kampf gegen Einsamkeit
Vilshofen. Sie ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, über das dringend mehr gesprochen werden muss: Die Einsamkeit. Bislang ist Einsamkeit eher ein Tabuthema. Verschiedene Kooperationspartner aus dem Raum Vilshofen wollten das allerdings mit einem Aktionsabend in der Mittelschule St. Georg am Donnerstagabend (23. Mai 2019) ändern. Ihnen war es ein Anliegen, über die Einsamkeit und ihre Folgen, aber auch über Wege aus der Einsamkeit zu informieren. Wie wichtig eine derartige Veranstaltung ist, bewies der Besucheransturm. Franziska Solger-Heinz von der Geschäftsstelle Gesundheitsregion Passauer Land plus begrüßte rund 60 Teilnehmer, darunter auch einige Ehrengäste. Federführend organisiert wurde der Aktionsabend, der im Rahmen der Aktionswoche „Zu Hause daheim“ des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales stattfand, von der Caritas. „Für uns ist das ein sehr wichtiges Thema, dem wir uns aber als gesamte Gesellschaft stellen müssen. Jeder kann einen Beitrag zur Vermeidung von Einsamkeit leisten“, sagte Ursula Sendlinger, Vorsitzende des Caritasverbandes für Stadt und Landkreis Passau. Sie wies zudem auf den Unterschied von Alleinsein und Einsamkeit hin und stellte heraus, dass Einsamkeit immer als sehr unangenehm empfunden werde. Passaus stellvertretende Landrätin Gerlinde Kaupa ging bei ihrem Grußwort darauf ein, dass Einsamkeit auch krank machen könne. Das hätten verschiedene Studien schon mehrfach belegt. „Wer liebevolle Beziehungen pflegt, ist vor Krankheit besser geschützt“, sagte Kaupa und lobte das Kooperationsteam für die Initiative, gemeinsam das Thema aufzugreifen. Fritz Lemberger, dritter Bürgermeister der „Gesunden Stadt Vilshofen“, schloss sich ihrem Dank an. Zwar werde Einsamkeit oft nicht unter dem Gesundheitsaspekt verstanden – sie sei in diesem Bereich aber ein sehr wichtiger Punkt.
Dass chronische Einsamkeit tatsächlich ursächlich für großen Stress sein kann, erläuterte Referent Andreas Kindermann, Seelsorger für Sozial- und Pflegeberufe. Er stützte sich auf das Buch „Einsamkeit. Die unerkannte Krankheit: schmerzhaft, ansteckend, tödlich“ des Bestsellerautors Manfred Spitzer, Professor für Psychiatrie in Ulm. Das Problematische an der Einsamkeit: Sie gehe oft mit dem Gefühl der Ohnmacht einher. So sei der Körper permanent unter Stress. Das wiederum könne sogar die Entstehung anderer Krankheiten, wie beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaflosigkeit oder Verdauungsstörungen, begünstigen. Nach dieser theoretischen Einführung folgte eine Podiumsrunde, die von Franziska Solger-Heinz professionell moderiert wurde und weitere wichtige Impulse gab. Neben Referent Kindermann, der unter anderem darauf hinwies, dass die sozialen Medien vielen Menschen eine Gemeinschaft nur vorgaukeln würden, stellte sich beispielsweise auch Norbert Pirkl, langjähriger Vorsitzender der Vilshofener Tafel, der Diskussion. Er berichtete von vielen Abholern, die ganz offensichtlich fast keine anderen Ansprechpartner hätten und deshalb manchmal schon Stunden vor dem offiziellen Ausgabetermin der Lebensmittel bei der Tafel erscheinen würden, um ins Gespräch mit den Helfern zu kommen. Auf der anderen Seite gebe es auch unter den ehrenamtlichen Mitarbeitern einige, die ihre Aufgabe bei der Tafel nutzen würden, um der Langeweile oder der Einsamkeit zu entfliehen. Grundsätzlich zeigte sich Pirkl überzeugt davon, dass in Vilshofen bereits zahlreiche Angebote vorhanden seien, die dabei helfen können, das Gefühl der Einsamkeit zurückzudrängen. „Man muss nur den inneren Schweinehund überwinden und sagen: Das schau ich mir mal an. Ich bin mir sicher, dass viele bei den zahlreichen Vereinen eine Antwort auf ihre Einsamkeit finden würden.“ Caritas-Vorsitzende Sendlinger stellte heraus, dass ihrer Einschätzung nach Einsamkeit insbesondere in den ländlichen Regionen durch den Wegfall von Familienverbünden immer größeren Einzug erhält. „Wenn die Schwester der Sozialstation einmal am Tag vorbeikommt, ist das für viele das Highlight des Tages“, so Sendlinger. Zudem betonte sie, dass Einsamkeit alle Menschen betreffen könne – unabhängig vom Alter oder der sozialen Stellung. Besonderes Augenmerk lag bei der Diskussionsrunde auf Rosemarie Neumann, die eigentliche Ideengeberin des Aktionsabends. Die 95-jährige hatte im Gespräch mit der Caritas angeregt, sich mit dem Thema „Einsamkeit“ zu befassen. Nun gab die einstige Psychologin, Lehrerin und Autorin, die sich immer noch ehrenamtlich engagiert, ganz konkrete Anregungen, wie insbesondere älteren Menschen, die nicht mehr mobil sind, auch von Seiten einer Stadt oder einer Gemeinde besser geholfen werden könnte. Eine Art Hol- und Bringservice, der Senioren den Zugang zu kulturellen Veranstaltungen in der Region ermöglichen würde, wäre ihrer Ansicht nach eine große Bereicherung und eine Möglichkeit, die Lebensqualität älterer Menschen zu verbessern. „Man ist sonst immer darauf angewiesen, dass einen jemand mitnimmt. Und oft sitzt man dann zu Hause und trauert, dass man nicht dabei sein kann“, so Neumann. Abschließend appellierte sie, ältere Menschen immer ernst zu nehmen. „Bitte fangen Sie nicht mit Kindersprache oder duzen an. Das ist eine Beleidigung. Sprechen sie normal, hören Sie zu, hören Sie auch schweigend zu“, forderte Neumann und erntete viel Applaus aus dem Publikum.
Wichtiger Bestandteil des Aktionsabends „Gemeinsam raus aus der Einsamkeit“ war schließlich das Erkunden fünf verschiedener Workshops und Mitmachstationen, die von den Kooperationspartner organisiert wurden und aufzeigten, welche Möglichkeiten es in Vilshofen gibt, unter Menschen zu kommen. Die Pfarrcaritas informierte zum Thema „Ein Ehrenamt für mich“ und lud zum ganzheitlichen Gedächtnistraining ein. Unter dem Motto „Jeder kann malen“ machte die Malgruppe Vilshofen Mut, dieses Hobby einmal selbst zu testen. „Gemeinsam Kultur genießen“ konnten die Teilnehmer mit dem Kultur- und Geschichtsverein Vilshofen, während die VHS zum Thema „Medien“ informierte und die Seniorengruppe „GeWinn“ Impulse zu geistiger und körperlicher Bewegung gab.